GIGANTISCHE ÜBERWACHER

WIE DAS GESCHÄFTSMODELL VON GOOGLE UND FACEBOOK
DIE MENSCHENRECHTE BEDROHT

ZUSAMMENFASSUNG

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Unsere Welt ist durch das Internet in einem Ausmaß verändert worden, wie seit der Nutz­bar­machung der Elektrizität nicht mehr. Über die Hälfte der Welt­bevölke­ rung bedient sich heute des Internets, um Nach­richten zu lesen, einem nahestehenden Menschen eine Nach­­richt zu übermitteln, eine Arbeitsstelle zu finden oder um Antworten auf eine wichtige Frage zu suchen. Es hat soziale und wirt­schaft­liche Möglichkeiten in einer Weise und mit einer Geschwindigkeit eröffnet, die sich vor fünfzig Jahren kaum jemand vorstellen konnte. Es ist nun fest anerkannt, dass der Zugang zum Internet un­er­ lässlich für die Wahr­nehmung der Menschenrechte ist.

Für mehr als vier Milliarden Menschen ist das Internet zu einem bestimmenden Mittel geworden wie sie kommu­nizieren, lernen, am Wirt­schafts­leben teilnehmen und sich sozial und politisch organisieren. Jedoch: Die meisten dieser vier Milliarden nutzen bei der Teilnahme am Online-Leben zum großen Teil die Dienste von nur zwei Unternehmen. Zwei Firmen kontrollieren die wichtigsten Kanäle, auf die sich die Menschen im Internet verlassen. Ihre Dienstleistungen sind so um­ fassend, dass sie aus dem Internet nicht mehr weg­zu­denken sind.

Facebook ist das weltweit dominierende Social-Media-Unternehmen. Ein Drittel der Menschheit nutzt täglich einen Dienst von Facebook: Die soziale Plattform, WhatsApp, Messenger und Anwendungen wie Instagram. Facebook legt Bedingungen für menschliche Kontakte im digitalen Zeitalter fest.

Ein zweites Unternehmen, Google, hat einen noch größeren Anteil an der Online-Welt. Such­maschinen sind eine entscheidende Informations­quelle, und auf Google entfallen etwa neunzig Prozent der weltweiten Anfragen an Such­­maschinen. Sein Browser Chrome ist der weltweit domi­nierende Webbrowser, seine Video­plattform YouTube weltw­eit die zweitgrößte Suchmaschine und die größte Video­­platt­form. Die große Mehrheit der Smart­phones weltweit nutzt Googles Betriebs­system Android.

Die Dominanz von Android ist besonders wichtig, weil Smartphones den PC als vor­rangiges Mittel zur Nutzung des Internets verdrängt haben. Smartphones legen Informationen offen über das Online-Verhalten hinaus, zum Beispiel über Reisen und den Aufenthalts­ort. Oft enthalten sie Tausende persönlicher E-Mails und Text­ nachrichten, Fotografien, Kontakte und Kalender­einträge.

Google und Facebook haben dazu beigetragen, die Welt zu vernetzen, und haben für Milliar­den von Menschen entscheidende Dienste geleistet. Um sinnvoll an der heutigen Wirt­schaft und Gesellschaft teilzuhaben und ihre Menschen­­rechte zu verwirklichen, sind die Menschen auf den Zugang zum Internet an­gewiesen – und auf die Werkzeuge, die Google und Facebook anbieten.

Trotz des realen Wertes der von ihnen ange­bo­tenen Dienst­­leistungen haben die Platt­­­formen von Google und Facebook systemische Kosten. Das Geschäftsmodell der Unter­­nehmen beruht auf Überwachung und zwingt die Menschen zu einem faustischen Pakt, bei dem sie ihre Menschenrechte online nur genießen können, wenn sie sich einem System unterwerfen, das auf Menschen­­rechts­verletzungen basiert. Diese bestehen in einem Angriff auf das Recht auf Privatsphäre in einem noch nie da gewesenen Ausmaß und einer Reihe von Folgewirkungen, die eine ernste Gefahr für andere Rechte darstellen, von der Meinungs- und Redefreiheit bis hin zur Gedankenfreiheit und dem Recht auf Nicht­ diskriminierung.

Das ist nicht das Internet, für das sich jemand bewusst entscheidet. Am Anfang der Firmen­geschichten von Google und Face­book vor zwanzig Jahren hatten beide radikal andere Geschäftsmodelle, die nicht von einer all­gegen­wärtigen Überwachung abhängig waren. Die all­ mähliche Aushöhlung der Privat­sphäre durch Google und Facebook ist eine direkte Folge der dominierenden Markt­ macht und der Kontrolle über den globalen „öffent­lichen Platz“, die beide Unternehmen auf­gebaut haben.

WIE DAS AUF ÜBERWACHUNG BASIERENDE GESCHÄFTSMODELL FUNKTIONIERT

Google und Facebook bieten gebührenfreie Dienst­leistun­gen für Milliarden von Menschen an. Stattdessen bezahlen die Bürger dafür mit ihren vertraulichen persön­lichen Daten. Diese Daten nutzen Google und Facebook, um Personen zu analy­sieren, sie nach bestimmten Merk­malen zu Gruppen zusammenzufassen und Vorhersagen über ihre Interessen, Eigen­schaften und letztlich ihr Verhalten zu machen – in erster Linie, um mittels dieser
Erkennt­nisse Werbeeinnahmen zu erzielen.

Diese Überwachungsmaschinerie reicht weit über die Google-Suchleiste oder die Facebook-Plattform hinaus. Menschen werden im Inter­net, über die Apps auf ihren Telefonen und auch in der physischen Welt im Alltag verfolgt. Die beiden Unternehmen sammeln um­­fang­ reiche Daten darüber, was wir suchen, wohin wir gehen, mit wem wir sprechen, was wir sagen, was wir lesen. Die Fortschritte in der Datenverarbeitung ermög­li­chen es, daraus auf unsere Stimmungen, Ethnizi­täten, sexuelle Orientierung, politische Meinungen und Ver­wund­­bar­keiten schließen. Einige dieser Kategorien – einschließlich der durch Menschen­rechtsgesetze ge­­schützten Merk­male – werden anderen zur Verfügung ge­stellt, um Internetnutzer mit Werbung und anderen Infor­mat­ionen gezielt anzusprechen.

ANGRIFF AUF DIE PRIVATSPHÄRE

Diese allgegenwärtige Überwachung zerstört das Recht auf Privatsphäre. Sie stellt nicht nur einen Eingriff in das Privatleben von Milliarden von Menschen dar, der niemals notwendig oder ver­hältnis­mäßig sein kann, sondern die Unter­nehmen haben den Zugang zu ihren Diensten an die „Zustimmung“ zur Ver­arbeitung und Weiter­gabe per­sönlicher Daten für Marketing und Werbung gebunden, was dem Recht, zu entscheiden, wann und wie unsere per­sön­lichen Daten an Dritte weiter­­gegeben werden kön­nen, direkt ent­gegen­steht. Schließ­­lich beeinträchtigt die Verwendung algo­rith­mi­scher Systeme zur Erstellung und Ableitung detaillierter Profile von Personen unsere Fähig­keit, unsere Identi­täten und Rollen in der Privat­sphäre selbst zu gestalten.

Die ursprünglichen Nutznießer dieser Erkennt­nisse waren Werbetreibende. Als die Daten­bestände aber erst einmal vorhanden waren, übten sie einen unwiderstehlichen Reiz auf Regierungen aus. Das hat einen einfachen Grund: Es wäre untragbar, wenn Regierungen solche Datenmengen, wie sie Facebook und Google von ihren Milliarden Nutzer ermitteln, selbst sammeln würden. Beide Unterneh­men haben sich den Begierden der Staaten wider­setzt, Informationen über ihre Nutzer zu erhalten. Allein die Möglichkeit, auf solche Daten zuzugreifen, ist jedoch ein starker An­reiz für Regierungen, die Überwachung durch Unternehmen nicht zu regulieren.

Die Verletzung der Privatsphäre ist das Kern­stück des auf Überwachung beruhenden Geschäfts­modells von Face­book und Google. Eine lange Liste von Datenschutzskan­dalen macht das überdeutlich. Trotz der Zu­siche­rungen der Unternehmen hinsichtlich ihres Engagements für den Daten­schutz ist es schwierig, diese zahlreichen Daten­schutz­verletzungen nicht als Teil des normalen Ge­schäfts­betriebs, sondern als Fehler zu sehen.

RISIKEN FÜR DIE MENSCHENRECHTE JENSEITS DER PRIVATSPHÄRE

Die Plattformen von Google und Facebook setzen nicht nur auf die Extraktion riesiger Mengen von persönlichen Daten, sondern auch darauf, mit Hilfe aus­geklügelter algorith­mi­scher Systeme weitere Erkenntnisse und Infor­ma­tionen aus diesen Daten zu gewinnen. Diese Systeme sind darauf ausgerichtet, die besten Ergeb­nisse im Sinne der Geschäfts­interessen der Unter­nehmen zu erzielen. Dazu zählen eine fein abgestimmte Aus­liefe­rung von Wer­bung und eine Beein­flussung des Verhaltens, um Besu­cher auf den Platt­formen zu halten. In der Folge kehren die einmal zusammengeführten Daten einer Person in vielfältiger unvorhergesehener Weise zu dieser zurück.

Diese algorithmischen Systeme haben eine Reihe von Auswirkungen, die die Rechte des Einzelnen ernsthaft bedrohen, darunter die Meinungs- und Redefreiheit, die Gedanken­freiheit und das Recht auf Gleich­­heit und Nicht­diskriminierung. Die Größe und die Reich­­weite der Plattformen von Google und Facebook verstärken diese Risiken noch erheblich und können Menschen­rechts­ver­letzungen für ganze Bevölkerungen ermög­li­chen. Darüber hinaus können Systeme, die sich auf komplexe Datenanalysen stützen, selbst für Informatiker undurch­schaubar sein, ganz zu schweigen von den Milliarden von Menschen, deren Daten verarbeitet werden.

Der Cambridge-Analytica-Skandal, bei dem Daten aus 87 Millionen Facebook-Profilen ge­­sammelt und dazu verwendet wurden, Men­schen für politische Kampagnen zu mani­pu­lieren, hat der Welt die Augen geöffnet über die Fähigkeiten solcher Plattformen, Menschen in großem Maßstab zu beeinflussen – und die Gefahr, dass sie von anderen Akteuren missbraucht werden können. So schockierend der Vorfall war, er ist nur die Spitze des Eis­bergs und entspringt genau dem Data-Mining- und Analysemodell, das den Aktivitäten von Facebook und Google innewohnt.

MACHT­KONZENTRATION BLOCKIERT DIE RECHEN­SCHAFTS­PFLICHT

Riesige Datenbestände und leistungsstarke Rechenkapa­zitäten haben Google und Facebook zu zwei der wert­vollsten und mächtig­sten Unternehmen in der Welt ge­macht haben. Die Marktkapitalisierung von Google ent­spricht mehr als dem doppelten Brutto­­inlandsprodukt von Irland (wo beide Firmen ihren europäischen Hauptsitz haben), die von Facebook ist noch ein Drittel größer. Das Geschäftsmodell der Unternehmen hat zum Aufbau die­ser Macht –finanzielle Schlag­kraft, politischer Einfluss und die Fähigkeit, das digitale Erleben von Milliarden von Men­schen zu gestalten – beigetragen und zu einer gewaltigen Wissensasymmetrie zwischen Unter­nehmen und Internetnutzern geführt. Mit den Worten der Wissen­schaftlerin Shoshana Zuboff: „Sie wissen alles über uns, wir wissen fast nichts über sie“.

Diese Machtkonzentration geht Hand in Hand mit den menschenrechtlichen Auswirkungen des Geschäftsmo­dells und hat eine Lücke in der Rechenschaftspflicht geschaffen, in der es für Regierungen schwierig ist, die Unter­nehmen zur Rechenschaft zu ziehen, und für die Betroffenen, bei der Justiz Recht zu suchen.

Regierungen haben die Pflicht, Menschen vor Menschen­rechtsverletzungen durch Unter­nehmen zu schützen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden Techno­logie­unternehmen weitgehend der Selbst­regulierung überlas­sen. Der ehemalige Vorstands­vorsitzende von Google, Eric Schmidt, beschrieb 2013 die Online-Welt als „den größten nicht regierten Raum der Welt“. Aller­dings haben Behörden begonnen, die Macht­konzentration bei Google und Facebook offensiver anzugehen. Ver­stöße gegen die Wett­­bewerbs­regeln werden untersucht, Geld­strafen wegen Verstößen gegen die Daten­schutz-Grundverordnung der EU verhängt, und neue Regeln zur Be­steue­rung großer Technologie-Firmen eingeführt.

Unternehmen stehen in der Verantwortung, bei ihren Geschäftsaktivitäten die Menschen­rechte zu achten. Dazu müssen sie die Aus­­­wirkungen auf die Menschen­rechte mit gebotener Sorgfalt (Due Diligence) prüfen und ggf. für Abhilfe sorgen. Google und Face­book verfügen über Richtlinien und Pro­zesse, die sich mit den Auswir­kungen auf das Recht auf Privatsphäre und Meinungs­freiheit befassen. Da ihr auf Überwachung basierendes Ge­schäfts­modell das Wesen des Rechts auf Privat­sphäre untergräbt und eine ernsthafte Bedrohung für eine Reihe anderer Rechte darstellt, verfolgen die Unter­nehmen aber
offen­sicht­lich keinen ganz­heitlichen Ansatz und stellen auch nicht in Frage, ob diese Geschäfts­modelle selbst mit ihrer Verant­wortung für die Achtung der Menschen­rechte vereinbar sind.

Amnesty International hat Google und Face­book die Gele­genheit gegeben, zu den in diesem Bericht dargestellten Erkennt­nissen Stellung zu nehmen. Der Antwortbrief von Facebook befindet sich im Anhang des Gesamtberichts. Amnesty International führte ein Gespräch mit leitenden Angestellten von Google, die anschließend Informationen über ihre Richt­linien und deren Umsetzung zur Verfügung stellten. Diese Informationen wurden im Bericht berück­
sichtigt.

Letztendlich ist es jetzt offensichtlich, dass die Ära der Selbstregulierung im Techno­logie­sektor zu Ende geht. Es wird mehr staat­­liche Regulierung nötig sein, aber es ist wichtig, dass die Regierungen, in welcher Form auch immer die künftige Regulierung des Technologie­sektors erfolgen wird, einen menschenrechtsorientierten Ansatz verfolgen. Kurz­fristig ist es notwendig, die bestehende Regulierung stärker durchzusetzen.

Die Regierungen müssen konkrete Schritte unter­­nehmen, um den durch das auf Über­wachung basierende Ge­schäftsmodell ver­­ursachten Schaden zu verringern.
Sie müssen Politik entwickeln und umsetzen mit den Menschen­­­rechten im Zentrum, um die all­gegen­­wärtige private Überwachung zu ver­ringern oder zu beseiti­gen und Reformen, auch strukturelle, durchführen, die ausreichen, um das Ver­trauen in das Internet wieder­ herzustellen.